Der Söldner und die Wüstenblume

Der Weg zwischen den Sternen 5




Einst war ich ein mächtiger Mann gewesen, vielleicht der mächtigste überhaupt unter den Völkern der Milchstraße. Ich hatte zwischen Völkern, ganzen Welten, vermittelt. Meine Worte, mein Rat, waren gefragt und wurden geachtet.
Ich erinnere mich noch an die beiden gigantischen Flotten, die sich gegenüber gestanden waren, weit draußen bei den Magellanschen Wolken. Beinahe wäre es zum Ausbruch eines Krieges gekommen, eines Krieges unvorstellbaren Ausmaßes, zwischen Andromeda und der Milchstraße. Hunderte oder gar tausende von Welten wären zerstört worden. Billiarden von Leben hätten ein Ende gefunden.
Ich hatte mich zwischen die Flotten gestellt, und es war zu einem letzten Gespräch mit den beiden Kommandanten der Streitkräfte gekommen. So hatte ich im allerletzten Augenblick den Ausbruch der Schlacht verhindern können.
Und irgendwann hatte ich dann sie kennen gelernt, hatte sie von einer mentalen Sperre befreit, und zum zweiten Mal in meinem Jahrtausende zählenden Leben in die Augen einer Comyn geblickt. Die allmächtigen Yr hatten ihre Wichtigkeit erkannt, sie in den geheimnisvollen großen Plan mit aufgenommen, und ihr das ewige Leben geschenkt. Gemeinsam waren wir von da an unseren Aufgaben nachgegangen, hatten Ruhe und Frieden gebracht, ganze Völker gerettet, oder in die große Gemeinschaft aufgenommen.
Und jetzt?
Einsam und in Lumpen gehüllt lief ich durch die Wälder einer unbedeutenden Welt, auf der Suche nach dem Dieb meines Schwertes.
Welches Jahr schrieben wir? Wie lange lag mein Abschied von Avalon schon zurück? Ich versuchte mir die Zahlen ins Gedächtnis zu rufen - aber vergeblich, sie waren mir entfallen.
Der blaue Ring war die einzige Verbindung zu meiner Heimatwelt, die ich für immer verlassen hatte. Damals, als ich meiner Frau Cassandra die ewige Treue geschworen hatte, hatte ihn mir Demeter, ihre Mutter, geschenkt. Auch Cassandra hatte einen Ring aus dem eigenartigen, schweren, blauen Metall erhalten. Nie hatte ich herausgefunden, woraus die Schmuckstücke bestanden. Nur die allmächtigen Yr mochten wissen, aus welchem Material sie die Ringe hergestellt hatten.
Viele Frauen hatte ich schon verloren, hatte gesehen, wie sie neben mir alterten, während ich jung geblieben war. Jede von ihnen hatte ich in das Grabmal meiner Heimat gelegt. Ich hatte versucht, zu vergessen, und lebte weiter, ging meinen Aufgaben nach, die mir die Yr auftrugen. Sie hatten mir die Unsterblichkeit geschenkt, und diese forderte einen hohen Tribut.
Ich verfluchte die Yr erneut für ihr Geschenk, wünschte mir, dass ich mich eines Tages niederlegen, und für immer die Augen schließen konnte.
Aber vorher wollte ich Seth-Anat töten, die negative Superintelligenz, die Völker, ganze Welten unterjocht und ausgelöscht hatte.

[...]

Unwillkürlich hielt ich in meinem Schritt inne. Waffengeklirr und laute Männerstimmen drangen an meine Ohren. Nachdem ich einen flachen Hügel hinaufgelaufen war, sah ich die Ursache für die Aufregung in der Senke unter mir: Eine Strasse führte dort durch ein lichtes Wäldchen. Darauf stand eine Kutsche, die mit zwei weißen Pferden bespannt war. Sie wurde von einer Gruppe von verwahrlosten Männern angegriffen. Vier Uniformierte versuchten, die reich verzierte Karosse vor den Angreifern zu verteidigen.
Etwas abseits, verborgen hinter ein paar Felsen, bemerkte ich ein paar Pferde, wohl etwa ein Dutzend, und einen einzelnen Mann, der dort Wache hielt. Ich schlich mich an und erschien in seinem Rücken. Seine Schultern waren nach vorne gesackt, sein Kopf nach unten gesunken. Er döste wohl vor sich hin.
„He, Freundchen“, sprach ich ihn an.
Er schreckte hoch, fuhr herum und seine Hand wollte zur Waffe greifen. Aber bevor er das Schwert ziehen konnte, landete meine Faust krachend in seinem Gesicht. Bewusstlos fiel er hinten über.
In seinem Gürtel fand ich ein langes Messer, das ich an mich nahm, und ein Schwert, das wohl vormals einem Soldaten gehört hatte. Ich prüfte die Klinge und befand sie für ausreichend scharf. In den Kampf wollte ich mich nicht einmischen. Er interessierte mich nicht. Die Zeit drängte. Ich musste den Dieb verfolgen.
Jetzt brauchte ich nur noch ein Pferd mit Sattel und Zaumzeug. Zwischen den Tieren sah ich einen braunen Wallach, für den ich mich entschied. Ich band die Zügel los und wollte mich gerade in den Sattel schwingen, als die gellenden Schreie einer Frau an meine Ohren drangen. Ich hielt inne. Aber was ging mich das Schicksal dieser Menschen an? Erneut hörte ich die Stimme der Frau, gefärbt von Angst und Schmerzen.
Ich hatte die Schreie von Verwundeten und Sterbenden gehört, in unzähligen Kämpfen, auf düsteren, vom Blut der Opfer getränkten Schlachtfeldern. Aber der Angstschrei einer jungen Frau, eines wehrlosen Geschöpfes, von verwahrlosten, stumpfsinnigen Barbaren attackiert, hatte eine Saite in mir zum Klingen gebracht, die seit Jahren verstummt gewesen war. Ich stieg in den Sattel des Braunen, zog ihn an den Zügeln herum, und lenkte ihn zum Ort der Auseinandersetzung.
Den Angreifern war es gelungen, zwei der Gardisten von der Kutsche abzudrängen. Die Türe war aufgerissen worden und hing schief in den Angeln. Die Insassen hatten sie ins Freie gezerrt. Es waren zwei in feine Gewänder gekleidete Damen. Die jüngere der beiden hatten sie zu Boden gestoßen. Einer der Räuber warf sich auf sie und zerriss ihre Bluse. Ich schnalzte mit der Zunge und trieb den Wallach an. Im Galopp zog ich mein Schwert und hielt auf die Meuchler zu. Einer schien den Hufschlag gehört zu haben, denn er wandte sich zu mir um. Seine Augen weiteten sich, er hob sein Schwert zur Abwehr und rief etwas Unverständliches. Das war das letzte, was er in seinem Leben von sich gab. Mein Schwert trennte seinen Arm ab und riss seinen Hals auf. Mit einem gurgelnden Geräusch brach er zusammen.